Schiller versucht in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen die aktuellen Probleme der Gesellschaft und des Staats festzustellen und zu analysieren. Er behauptet, dass der Mensch durch eine ursprüngliche und radikale Entgegensetzung von der sinnlichen und der vernünftigen Natur bestimmt sei, und dass es also sowohl für den Fortschritt des Individuums als auch für den der Gesellschaft wichtig sei, ein Gleichgewicht zwischen beiden entgegengesetzten Grundtrieben des Menschen zu finden. In diesem Zusammenhang fordert Schiller einen neuen Trieb als eine Wechselwirkung zwischen dem sinnlichen Trieb und dem Formtrieb, und zwar den Spieltrieb. Aber kurz vorher behauptete er, dass ein dritter Grundtrieb, der beide Grundtriebe vermitteln könnte, schlechterdings ein undenkbarer Begriff sei. Es ist also hier zu fragen, warum Schiller den Spieltrieb als einen in seiner ästhetischen Theorie eine grundlegende Rolle spielenden Trieb fordert, obwohl der Spieltrieb als ein dritter Grundtrieb nicht denkbar ist. Um Gründe für ein solches widersprüchliches Argument zu analysieren, wird im vorliegenden Artikel versucht, Schillers Denkweise anhand des Konzepts der Moderne von Bruno Latour zu verstehen. Einerseits durchläuft Schiller einen scheinbar strengen Reinigungsprozess, um den dualistisch konzipierten Begriff des Menschen zu erklären. Andererseits, um dann den Dualismus zu überwinden, schafft er einen hybriden Begriff, der für die Entwicklung der Totalität des Individuums - und so der Gesellschaft - wesentlich ist, nämlich den Spieltrieb. Daraus lässt sich folgern, dass Schillers ästhetische Theorie im Konzept vom Spieltrieb ihre nichtmoderne Modernität zu erkennen gibt.