Judith, wie sie in der Bibel dargestellt wird, ist ein großes Vorbild für ein mörderisches Handeln, das als heroisch eingestuft wird: der Mord aus politischreligiöser Leidenschaft. Die ‘Witwe in Waffen’ vollführt einen universalen, weltgeschichtlichen Akt. Jugend und Schönheit sind unabdingbare Eigenschaften der politischen Mörderin. Judiths Handeln beruht auf göttlicher Mission. Die Judith-Figur gewinnt nicht nur androgyne Züge, sondern wird auch dem Irdischen entzogen. Als Grenzgängerin vermittelt sie zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen ebenso wie zwischen dem Irdischen und dem Göttlichen.
In Hebbels Drama Judith tötet die ‘jungfräuliche Witwe’ nicht aus Heldenmut, sondern aus persönlichen Motiven. Hebbel konnte sich keine Frau vorstellen, die bei der totalen Verdinglichung durch den Mann und der daraus resultierenden Schändung des Menschen nicht in den Zustand hingebungsvoller Sanftmut zurückkehren und vom Töten ablassen würde. Der gewaltsame Verlust des wahren Ichs erzeugt eine Mörderin. Durch die persönliche Motivation unterscheidet sich Hebbels Heldin von der heroisch-patriotischen Judith der Bibel und deren Schwestern Jeanne d’Arc und Charlotte Corday. Die Ursache revolutionären Verhaltens verschiebt sich - zuerst bei Hebbel - vom politisch-religiösen Auftrag zu persönlichen Beweggründen.