Die vorliegende Arbeit vergleicht den Text der maßgeblichen koreanischen Ausgabe der „Geschichte von Hong Kil Tong“ mit der fruhesten englischen bzw. deutschen Übersetzung des Werks und arbeitet dabei Perspektivverschiebungen, Kurzungen, Hinzufugungen und sonstige Abweichungen vom Original heraus. Viele der zahlreichen Ausgaben der „Geschichte von Hong Kil Tong“ gehen auf jene wohl im 19. Jahrhundert entstandene Seouler Ausgabe zuruck, die aus 30 Holzdruckblättern besteht und die Tradition wohl am besten repräsentiert. In dieser ist auch der Ausgangstext fur die hier analysierten Übersetzungen ins Englische und Deutsche zu finden. Die Seouler Ausgabe dient deshalb als Grundlage fur den Vergleich.
Der Band „Korea. Märchen und Legenden. Nebst einer Einleitung uber Land und Leute, Sitten und Gebräuche Koreas“ (1893) von H.G. Arnous gilt als erstes Beispiel fur eine deutsche Übersetzung von koreanischer erzählender Belletristik. Das Werk stutzt sich aber nicht etwa auf eine entsprechende koreanische Ausgabe, sondern auf H.N. Allens „Korean Tales. Being a Collection of Stories Translated from the Korean Folk Lore“ (1889). Dieses Buch wiederum enthält direkte Übertragungen aus dem Koreanischen.
Das zentrale Ergebnis des Vergleichs der koreanischen, englischen und deutschen Texte ist, dass sowohl Arnous als auch Allen eigenständige, vom Original abweichende inhaltliche und stilistische Akzente gesetzt haben. Es handelt es sich hier insbesondere: 1) um die Hervorhebung des Helden als Individuum, 2) um die Projektion der Moralvorstellungen der Übersetzer in ihre Übersetzungstexte und 3) um die Auslassung der koreanischen Eigennamen und diverser Kulturspezifika, um den deutschsprachigen bzw. angelsächsischen Lesern den Zugang zum Text zu erleichtern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Handeln des Protagonisten im koreanischen Text von Werten wie Pietät, Loyalität und Kindespflicht sowie dem Streben nach Anerkennung bei den traditionellen Eliten bestimmt wird, während im deutschen und englischen Text die selbstständig, individuell erkämpfte Gerechtigkeit ins Zentrum ruckt.