In Korea ist (Goethes) Faust eines der am haufigsten gelesenen Werke der deutschen Literatur uberhaupt. Bedauerlicherweise spiegeln die meisten der rund 50 Ubersetzungen - hierunter auch zahlreiche Teilubersetzungen und Ubersetzungen, die einer literarischen Neuschopfung nahekommen - nur selten die Erkenntnisse der Ubersetzungstheorie wider. Haufig wurde der Text ohne Verstandnis der tieferen Bedeutung und ohne feste Ubersetzungsrichtlinien wortlich ubersetzt. Unsere Untersuchung stellt einen Versuch dar, anhand ausgewahlter Beispiele das Problem der Ubersetzung zu beleuchten und ein mogliches Ubersetzungsmodell anzubieten. Es versteht sich, dass bei einer moglichst exakten Beschreibung der Probleme einer Ubersetzung kurze Textteile besonders dienlich sind. Daher wurden die im Faust erscheinenden geflugelten Worte als Untersuchungsgegenstand ausgewahlt.
In der vorliegenden Arbeit wurden unter 150 im Faust erscheinenden geflugelten Worten diejenigen Wortverbande einer besonderen Untersuchung unterzogen, die von Goethe geschaffen wurden und durch haufiges Zitieren inzwischen selbst den Rang von geflugelten Worten erhalten haben. Der Beurteilung der Ubersetzung dieser 11 geflugelten Worte wurden 8 verschiedene Konstellationen zugrunde gelegt, die auf den Parametern Lexik, Syntax und Semantik/Pragmatik fußen. Als Quellen dienten die im Zeitraum von 1958 bis 2015 erschienenen 13 koreanischen Faust-Ubersetzungen, die samtlich vollstandige Ubersetzungen des Goetheschen Textes sind und sich auch in qualitativer Hinsicht von den meisten fruhen Faust-Ubersetzungen unterscheiden.
Die Verfasser sind sich bewusst, dass die als unter acht Konstellationen mit ① bezeichnete Konstellation der Ubereinstimmung aller drei Parameter zwischen der AS ( = Ausgangssprache; hier Deutsch) und der ZS ( = Zielsprache; hier Koreanisch) nicht notwendigerweise die “beste” Ubersetzung darstellen muss, da bei einer Ubersetzung auch subjektive Faktoren wie Stil oder personlicher Geschmack eine wichtige Rolle spielen. Auf die prinzipielle Frage, ob bei Sprachen, die anderen Sprachenfamilien angehoren und wie das Deutsche und das Koreanische vollig verschieden strukturiert sind, uberhaupt von Ubereinstimmungen speziell im Bereich der Syntax gesprochen werden kann, wurde nicht eingegangen. Die Mehrzahl der Ubersetzungen wurde den Konstellationen ①, ④ ( = Ubereinstimmung der Lexik und Semantik/Pragmatik, keine Ubereinstimmung der Syntax) und ⑦ ( = Ubereinstimmung der Semantik/Pragmatik, keine Ubereinstimmung der Lexik und Syntax) zugeordnet. Insgesamt betrachtet weisen die verschiedenen Ubersetzungen keine signifikanten Unterschiede bei der ubersetzerischen Behandlung auf, keiner der Ubersetzer hat den Versuch unternommen, eine Ubersetzung vorzulegen, die sich deutlich von den fruheren Arbeiten abgrenzt. Besonders bedauerlich erscheint, dass nicht nur im Bereich der geflugelten Worte, sondern bei den meisten Phraseologismen nicht der Versuch unternommen wurde, sie mit einem verwandten koreanischen Phraseologismus zu ubersetzen.
Abschließend mochten die Verfasser festhalten, dass sie die erwahnten acht Konstellationen auf der Grundlage der drei Parameter Lexik, Syntax und - naturlich besonders wichtig - der Semantik/Pragmatik als mogliche Grundlage einer Bewertung einer Ubersetzung betrachten.