Stifters Waldsteig thematisiert zum einen ein Bindungstrauma des Protagonisten, hebt aber zum anderen die starke wie heilsame Wirkung der Familie auf selbigen hervor. In dieser Erzahlung wird insbesondere die Wandlung des Traumas der Hauptfigur hin zu dessen Traum deutlich, welche durch die Erlangung von Familie erfolgt. Aufgrund dieses Entwicklungsprozesses der Hauptfigur, welcher in einem Happy End mundet, bewerten viele literarische Kritiker,Stifter als biedermeierlichen Reaktionar, der stets aus der Tradition lediglich das jenige retten wollte, worin er Ewigkeitswerte der Familie verkorpert zu sehen glaubte. Die vorliegende Arbeit jedoch, sieht in Stifters Werk mehr als nur diesen Aspekt, indem sie hervorzuheben sucht, dass Stifter die Familie nicht allein als einen Raum fur Traume, sondern zugleich als einen Raum, in dem Traumata geschaffen werden, sah. Dadurch scharfte Stifter gerade auch die pathologische Dimension von Familie. In seinem Werk wird der dringende Wunsch nach Zuneigung der Familie deutlich-gleichzeitig erfolgt aber eine realistische Darstellung dessen, wie schicksalhaft Verletzungen innerhalb von Familienbeziehungen entstehen konnen. Dabei wird aufgezeigt, wie sehr familiare Verletzungen das eigene Ich ungesund und pathologisch beeinflussen konnen. Der Autor selbst erlebte eine grobe Kluft zwischen der Wirklichkeit seines Familienlebens und seinem Idealbild von Familie. Entgegen seiner Idealisierung von Familie, wurde in Stifters Leben gerade keine solch idealisierte Warme der Familie sichtbar, vielmehr litt er sehr unter seiner kinderlosen Ehe und kampfteuber zwanzig Jahre mit Hypochondrie. Vor diesem Hintergrund erscheinen die von Stifter gezeichneten Wunschbilder der Familie geradezu als psychologische Kompensation des Autors. Auch wirkt aus diesem Blickwinkel, die Wahrnehmung Stifters als lediglich naiv biedermeierlichem Autor, allzu eindimensional. Vielmehr wird mit der Lekture seiner Werke eine seltsame Ambivalenz zwischen gewunschter Idealisierung und melancholischer Tragik offenbar, zwischen Vision des nihilistischen Abgrunds und dem Bewusstsein religioser Geborgenheit, zwischen emotionalem Erschrecken und rettender Rationalitat. Trotz der humoristischen Erzahlweise in Der Waldsteig, wird gerade diese von einer existentiellen Orientierungslosigkeit und der verletzten Familienbeziehung des Protagonisten begleitet. Betrachtet man diese Facette der Erzahlung vor dem wahren Leben des Autors, so wirkt sein Selbstmord im Jahre 1868 wie die resignierende Akzeptanz der nicht enden wollenden Kluft zwischen der Wirklichkeit und dem lang ersehnten Wunschbild von Familie.