In der Rezeptionsgeschichte von Heinrich von Kleists Trauerspiel Penthesilea (1807) kollidieren hinsichtlich der Protagonistin zwei Positionen. Eine Position lehnt ihren fremdartigen Charakter ab, die andere feiert sie als "die Figur des Dritten par excellence". Aus einer etwas erweiterten Perspektive gesehen erscheinen allerdings diese entgegengesetzten Positionen lediglich als die zwei verschiedenen Seiten derselben Medaille. Sie unterscheiden sich zwar in der letzten Bewertung, sind sich aber in der Verabsolutierung des Anderen als etwas, das sich ganz außerhalb des Innens befindet, einig. Die beliebten Topoi der Penthesilea-Forschung, namlich "uberschreitung" und "Inversion", funktionieren exakt nach dieser Logik. So ist Penthesilea von diesen beiden Seiten im wortlichen Sinne de-naturalisiert und wird nur noch mit Hilfe des Prafixes "un-" definierbar gemacht: "unaussprechlich", "unbegreiflich", "unbewusst", "unverstandlich" und nicht zuletzt "unerreichbar". In diesem Beitrag aber soll Penthesilea wieder eingeburgert werden. Ihr Ort ist nicht (n)irgendwo draußen, d.h. sie wird, um es mit Gayatri Spivak zu sagen, nicht als "reines Außen", sondern als "das Außen im Innen" betrachtet. Dies bedeutet vor allem: sie ist begreiflich und besitzt eigene Logik in ihrer Psychologie. Im Folgenden wird daher versucht, Penthesileas anscheinend unverstandlichen "Feldzug" in die todliche Liebe nachzuvollziehen und den gesamten Text unter der Perspektive ihrer Scham auszulegen.