Seit 18. Jahrhundert hat die deutsche Dichtung mit Philosophie im engen Zusammenhang gestanden. F. Schlegel sogar behauptet, Dichtung solle mit der Philosophie eins werden. In der Tat konnen wir die Philosophie von Kant, Schelling und Fichte nicht aus den Augen lassen, um die Dichtung des 18. Jahrhunderts zu verstehen. Das bedeutet aber nicht, daß es keinen Unterschied ga¨be zwischen der Dichtung und der Philosophie. Jede hat ihr eigenes Gesetz. Dieser Zusammenhang und Unterschied sollen aufgekla¨rt werden. Ho¨lderlin hat in seinem Hyperion auf diese Frage geantwortet: $quot;Die Dichtung ist der Anfang und das Ende dieser Wissenschaft (Philosophie). Wie Minerva aus Jupiters Haupt, entspringt sie aus der Dichtung eines unendlichen go¨ttlichen Seins. Und so la¨uft am Ende auch wieder in ihr das Unvereinbare in der geheimnisvollen Quelle der Dichtung zusammen.$quot; Hier ist also ein Begriff von Philosophie gemeint, der sie in ihrer scho¨pferischen Qualita¨l wurdigt. Es ist nicht die Philosophie im Schulsinne, die Holderlin gemeint hat, sondern, wie Kant sagt, die Philosophie nach ihrem Weltbegriff. Alle große Philosophie geho¨rt diesem Bereich der scho¨pferischen, der dichterischen Genialita¨t zu. Also wohnen Dichter und Philosoph zwar nahe beieinander, dock auf getrennten Gipfeln. Rilkes Duineser Elegien und Sonette an Orpheus ko¨nnten in dem Umkreis der Philosophischen oder sogenannten Gedankendichtung einbezogen werden. Es gibt aber solche Gedankendichtung, wie die philosophischen Gedichte Schillers, deren innere Logik mit dem Medium unseres Bewußtseins, wie es das Tageslicht ist, nachvollzieht und aufnimmt. Das Licht der Vernunft vermag sie zu durchdringen. Aber die Duineser Elegien und die Sonette an Orpheus haben eine andere Quelle, sie sind in andersartigen Schaffensvorga¨ngen empfangen. Es ist sehr schwer, diese Andersartigkeit zu kennzeichnen. Die sonnenhafte Helligkeit des Geistes ist die Quellenschicht dieser Werke, wie bei Schiller. Sie entstammen einem gnadenhaften Drange in die na¨chtigen, unbewußten, dunklen Bereich des Daseins. Statt apollinischer Klarheit des Bewußtseins brauchen wir orphisches Dunkel, um sie zu deuten. Diese Art Gedicht entspringt also wohl aus ahnlichen Quellen wie das Ma¨rchen, der Traum, der Mythos, also aus der mystischen Welt, den im Umgang des Alltags verdeckten Schichten. Um Rilkes spate Werke, wie die Duineser Elegien und die Sonette an Orpheus richtig verstehen zu kdnnen, brauchen wir unbedingt seherische Fa¨higkeit, die mit der Gedankenwelt der deutschen Mystik ganz verwandt ist.